Wenn mich die Scham weiter aufschieben lässt.
Posted: Sat 10. Nov 2018, 12:50
Scham
Wer aufschiebt, tut dies sehr oft, weil ihn ein ungutes Gefühl dazu bringt, eine Befürchtung, eine nicht bestimmbare Unruhe oder eben auch eine gewisse Scham. Sie wird als solche oft gar nicht identifiziert, was daran liegen mag, dass wir Schamgefühl insgesamt nicht gerne wahrhaben wollen, und sie daher anders benennen, etwa als „Angst“, oder als „Schuldgefühl“. Dass wir Scham nicht gerne an uns heranlassen, hat sicher auch damit zu tun, dass wir wissen: Wir werden sie so schnell nicht wieder los. Grund genug, sie ein bisschen genauer anzuschauen.
Scham mischt sich in Prokrastination auf mehreren Ebenen ein:
Ich schäme mich vor mir selbst, dass ich wieder einmal eingeknickt bin und mich der anstehenden Aufgabe nicht gestellt habe, mit der Variante, dass beim nächsten Versuch, die Sache endlich weiter zu bringen, meine Scham über die bisher vertanen Gelegenheiten mich sofort wieder ausbremst.
Oder mein Aufschieben fällt den anderen auf, und ich stehe wieder einmal wie der Depp da, der’s nicht auf die Reihe bringt.
Vielleicht schäme ich mich auch, dass ich bestimmte Voraussetzungen – ganz sichtbar für die anderen – nicht mitbringe, um die Aufgabe auf optimale Weise zu erledigen, weswegen ich es dann lieber gleich sein lasse (Stichwort Perfektionismus).
Dies sind negative Gefühlserlebnisse, die die Tendenz zum weiteren Aufschieben noch verstärken können (jedenfalls so lange der innere Kämpfer nicht endlich anfängt, sich zu wehren).
Wenn es Scham ist, die mich dazu bringt, Wichtiges nicht anzugehen, habe ich ein Problem.
Anders als beim Ent-Schuldigen kann ich mich nicht „Ent-Schamigen“. Schuldgefühle unterschiedlichster Art werde ich easy mehrmals am Tag los (“‘Tschuldigung!“), Scham klebt an mir wie Kaugummi unterm Schuh. Der Körper versucht noch ein bisschen Entlastung durch Erröten, Zittern, erhöhten Herzschlag, Atembeklemmung etc., also mit den entwicklungsgeschichtlich frühen physiologischen Notfallfunktionen, aber eine geistige und emotionale Verarbeitung ist vorerst nicht möglich: Keiner nimmt mir die Scham ab – selbst wenn er mich bereitwillig von einer Schuld freisprechen würde.
Schlimmer wird das Ganze noch dadurch, dass die Scham mit einer gewissen Verwirrung einhergeht, die aus dem Bruch mit der eigenen Identität herrührt, und aus dem Bruch meiner Konformität mit den anderen, der Gruppe, dem Team. Ich könnte nur noch im Erdboden verschwinden, wenn ich von mir selbst oder von anderen höre: „Du solltest dich 'was schämen“, oder „Du brauchst dich damit hier nicht mehr blicken zu lassen“. Damit wird das Geschehen als solches als nicht mehr „ego-synton“, als nicht mehr mit der eigenen Person vereinbar erachtet – und prompt in die „konservierende Verdrängung“ geschoben: Ab jetzt wird erst recht weiter aufgeschoben. Eine „ehrenhafte“ Lösung kann der Prokrastinierer dann nicht mehr selber herbeiführen. Ab jetzt droht die Situation ausweglos zu werden.
Wie aber kriege ich die Scham wieder los?
Als erstes muss verstanden werden: Scham geht nicht von selber weg, sie muss aktiv bearbeitet werden, damit sie (mit ihren Folgeerscheinungen) nicht zum dauerhaften Symptom wird.
Als nächstes gilt: Nur wer über seine Scham sprechen kann, ist auf dem Weg der inneren Loslösung von der schamerfüllten Situation, und wird wieder handlungsfähig.
Des Weiteren ist es gut zu wissen, dass sich Scham in andere Gefühle umwandeln lässt – positive, wie z.B. Widerstand und Auflehnung, oder auch Humor, oder aber in negative wie Leugnung, Verzweiflung, Resignation oder Selbstbeschuldigung.
Damit die negativen Gefühle nicht überhand nehmen ist es wichtig zu verstehen, wer eigentlich den Maßstab gesetzt hat, der meine Leistungsansprüche so schamanfällig macht: Wer hat sich eigentlich das Recht herausgenommen, mich „bloß“zustellen, Perfektionismus oder Unfehlbarkeit zu fordern, nicht über Defizite reden zu dürfen, mich aus einer Gruppe auszuschließen?
Der Kontext, in dem das Schämen stattfindet, ist viel größer als das momentane schambesetzte Ereignis.
Es geht nicht mehr allein darum, das momentane hämische Grinsen des anderen auszuhalten, sondern (zum Urheber des Schamkontextes) zu sagen: „OK, bis jetzt habe ich mich nach deinen Regeln geschämt. Aber heute weiß ich, dass eigentlich du dich hättest schämen müssen. Denn du hast mein Handeln mit Scham belegt!“
Wenn der andere das Vertrauen eines solchen Gesprächs nicht verdient oder versteht, hilft auch ein entsprechendes Selbstgespräch. Die neurologische Forschung hat inzwischen auf ihre Weise bestätigt, dass der psychologische Abstand zum Erlebten und die notwendige Emotionsregulation auch im befreienden Selbstgespräch möglich ist.
Insgesamt aber sollte wir wissen, dass es ein zutiefst menschlicher Zug ist, dass das Individuum in einer Situation, die es nicht beherrscht, sich allzu leicht in seiner Vorstellung zum Verantwortlichen macht.
Wer aufschiebt, tut dies sehr oft, weil ihn ein ungutes Gefühl dazu bringt, eine Befürchtung, eine nicht bestimmbare Unruhe oder eben auch eine gewisse Scham. Sie wird als solche oft gar nicht identifiziert, was daran liegen mag, dass wir Schamgefühl insgesamt nicht gerne wahrhaben wollen, und sie daher anders benennen, etwa als „Angst“, oder als „Schuldgefühl“. Dass wir Scham nicht gerne an uns heranlassen, hat sicher auch damit zu tun, dass wir wissen: Wir werden sie so schnell nicht wieder los. Grund genug, sie ein bisschen genauer anzuschauen.
Scham mischt sich in Prokrastination auf mehreren Ebenen ein:
Ich schäme mich vor mir selbst, dass ich wieder einmal eingeknickt bin und mich der anstehenden Aufgabe nicht gestellt habe, mit der Variante, dass beim nächsten Versuch, die Sache endlich weiter zu bringen, meine Scham über die bisher vertanen Gelegenheiten mich sofort wieder ausbremst.
Oder mein Aufschieben fällt den anderen auf, und ich stehe wieder einmal wie der Depp da, der’s nicht auf die Reihe bringt.
Vielleicht schäme ich mich auch, dass ich bestimmte Voraussetzungen – ganz sichtbar für die anderen – nicht mitbringe, um die Aufgabe auf optimale Weise zu erledigen, weswegen ich es dann lieber gleich sein lasse (Stichwort Perfektionismus).
Dies sind negative Gefühlserlebnisse, die die Tendenz zum weiteren Aufschieben noch verstärken können (jedenfalls so lange der innere Kämpfer nicht endlich anfängt, sich zu wehren).
Wenn es Scham ist, die mich dazu bringt, Wichtiges nicht anzugehen, habe ich ein Problem.
Anders als beim Ent-Schuldigen kann ich mich nicht „Ent-Schamigen“. Schuldgefühle unterschiedlichster Art werde ich easy mehrmals am Tag los (“‘Tschuldigung!“), Scham klebt an mir wie Kaugummi unterm Schuh. Der Körper versucht noch ein bisschen Entlastung durch Erröten, Zittern, erhöhten Herzschlag, Atembeklemmung etc., also mit den entwicklungsgeschichtlich frühen physiologischen Notfallfunktionen, aber eine geistige und emotionale Verarbeitung ist vorerst nicht möglich: Keiner nimmt mir die Scham ab – selbst wenn er mich bereitwillig von einer Schuld freisprechen würde.
Schlimmer wird das Ganze noch dadurch, dass die Scham mit einer gewissen Verwirrung einhergeht, die aus dem Bruch mit der eigenen Identität herrührt, und aus dem Bruch meiner Konformität mit den anderen, der Gruppe, dem Team. Ich könnte nur noch im Erdboden verschwinden, wenn ich von mir selbst oder von anderen höre: „Du solltest dich 'was schämen“, oder „Du brauchst dich damit hier nicht mehr blicken zu lassen“. Damit wird das Geschehen als solches als nicht mehr „ego-synton“, als nicht mehr mit der eigenen Person vereinbar erachtet – und prompt in die „konservierende Verdrängung“ geschoben: Ab jetzt wird erst recht weiter aufgeschoben. Eine „ehrenhafte“ Lösung kann der Prokrastinierer dann nicht mehr selber herbeiführen. Ab jetzt droht die Situation ausweglos zu werden.
Wie aber kriege ich die Scham wieder los?
Als erstes muss verstanden werden: Scham geht nicht von selber weg, sie muss aktiv bearbeitet werden, damit sie (mit ihren Folgeerscheinungen) nicht zum dauerhaften Symptom wird.
Als nächstes gilt: Nur wer über seine Scham sprechen kann, ist auf dem Weg der inneren Loslösung von der schamerfüllten Situation, und wird wieder handlungsfähig.
Des Weiteren ist es gut zu wissen, dass sich Scham in andere Gefühle umwandeln lässt – positive, wie z.B. Widerstand und Auflehnung, oder auch Humor, oder aber in negative wie Leugnung, Verzweiflung, Resignation oder Selbstbeschuldigung.
Damit die negativen Gefühle nicht überhand nehmen ist es wichtig zu verstehen, wer eigentlich den Maßstab gesetzt hat, der meine Leistungsansprüche so schamanfällig macht: Wer hat sich eigentlich das Recht herausgenommen, mich „bloß“zustellen, Perfektionismus oder Unfehlbarkeit zu fordern, nicht über Defizite reden zu dürfen, mich aus einer Gruppe auszuschließen?
Der Kontext, in dem das Schämen stattfindet, ist viel größer als das momentane schambesetzte Ereignis.
Es geht nicht mehr allein darum, das momentane hämische Grinsen des anderen auszuhalten, sondern (zum Urheber des Schamkontextes) zu sagen: „OK, bis jetzt habe ich mich nach deinen Regeln geschämt. Aber heute weiß ich, dass eigentlich du dich hättest schämen müssen. Denn du hast mein Handeln mit Scham belegt!“
Wenn der andere das Vertrauen eines solchen Gesprächs nicht verdient oder versteht, hilft auch ein entsprechendes Selbstgespräch. Die neurologische Forschung hat inzwischen auf ihre Weise bestätigt, dass der psychologische Abstand zum Erlebten und die notwendige Emotionsregulation auch im befreienden Selbstgespräch möglich ist.
Insgesamt aber sollte wir wissen, dass es ein zutiefst menschlicher Zug ist, dass das Individuum in einer Situation, die es nicht beherrscht, sich allzu leicht in seiner Vorstellung zum Verantwortlichen macht.