Prokratination beim Partner

Beschreibung und Diskussion persönlicher Erfahrungsberichte
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luis
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Prokratination beim Partner

Post by luis » Fri 12. Jul 2013, 08:59

Liebe Leser dieses Forums,
ich brauche einen Rat, wie ich mich meinem Partner gegenüber verhalten kann. Ich bin relativ sicher, dass er an Prokrastination leidet. Ich versuche unseren Fall kurz zu beschreiben.
Vor ca 4 Wochen habe ich herausgefunden, dass er - obwohl er als Freiberufler hart arbeitet - seit Monaten keine Rechnungen gestellt hat. Das Geld was er für seinen Lebensunterhalt brauchte, hat er sich in der Familie und bei mir geliehen. Eine ganze Reihe an Folgeproblemen ist damit eingetreten – das er schon seit Monaten nicht mehr krankenversichert ist, ist nur eins davon (nicht beim Finanzamt gemeldet etcpp). Er hat mir das verheimlicht - nun ist es aufgeflogen, was zunächst für uns eine Art Erleichterung war. Aber nun geht es nicht weiter.
Wir haben eine kleine Tochter. Es ist auch ein ganz liebevoller Vater. Allerdings hat er kaum mehr Zeit, sich um sie zu kümmern. In seinem Job arbeitet er teilweise wochenlang durch, ohne Pause (mal 14 Tage, mal 10 Tage, mal 6 Wochen). Danach gibt es längere Pausen, dann ist er aber erst mal tagelang sehr erschöpft, schläft sehr viel und lang in den Tag hinein usw. ist oft krank.
Für mich ist das alles kaum mehr zu ertragen und ich merke, wie die Liebe langsam stirbt. An mir bleibt zu viel hängen - mich macht das unglücklich. Ich habe in den letzten Jahren die Rolle seiner "Antreiberin" übernommen - irgendwie automatisch. Für ihn ist das "Psychoterror", wie er sagt.
Eigentlich haben wir immer einen liebevollen Umgang miteinander gehabt und sind auch mit unserer Tochter sehr glücklich. Aber ich merke, dass ich nicht mehr kann bald. Ich würde unsere Beziehung gerne retten - kannn mich aber nur noch passiv verhalten, um ihn nicht auf die Palme zu bringen. Das macht mich wiederum totunglücklich. Ich finde kaum Rat, wie man sich verhalten kann, wenn man mit jemanden zusammen lebt, der an Prokratination leidet und hoffe, hier etwas Beistand zu finden.
Danke im Vorraus , luis

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JavaBohne
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Re: Prokratination beim Partner

Post by JavaBohne » Fri 12. Jul 2013, 14:37

Hallo Luis,

schoen, dass du den Weg zu uns gefunden hast. Zunaechst einmal ein herzliches Willkommen in unserem Forum.

Grundsaetzlich ist es immer sehr schwer eine Diagnose zur Prokrastination zu stellen und Ratschlaege zu geben. Das hat einen ganz besonderen Grund. Jede Prokrastination ist voellig individuell und somit kann das, was fuer einen Prokrastinator richtig ist fuer eine andere Prokrastinatorin voellig falsch sein.

Zunaechst sollte man sich aus meiner Sicht mal verdeutlichen, was es heisst Prokrastinator zu sein: Ein guter Vergleich ist der mit einem Alkoholiker. Versuche dir mal vorzustellen, was passiert, wenn man einem Alkoholiker eine Flasche Schnaps vor die Nase setzt und ihm sagt, dass er die Flasche nicht anruehren darf! Er wird dennoch trinken, denn er kann nicht anders. Nun zum Prokrastinator! Sage ihm/ihr dass er einfach aufstehen und die Arbeit erledigen soll! Er wird es dennoch nicht tun, weil er nicht kann! Dieses nicht koennen ist schwer zu erklaeren, es ist eine innere Blockade. Wie ein ES im Prokrastinator, dass beim ICH jede Motivation und Aktion verhindert bzw. voellig ausschliesst. Ich wuensche mir, dass ich die richtigen Worte gefunden habe, um ueberhaupt aufzuzeigen, wie es um uns steht.

Sollte dein Partner Prokrastinator sein, koennte man wie folgt vorgehen:

1. In jedem Falle keinen Streit verursachen und keinen (zusaetzlichen) Druck aufbauen.

2. Mit Guete und liebevoll mit dem Partner reden, ihm mit lieben Worten klarmachen, dass die Rechnungen geschrieben werden muessen, damit wieder Geld reinkommt

3. Beim Gespraech mit ihm darauf hinweisen, wie toll er in den letzte Wochen und Monaten gearbeitet hat. Doch nun sollten die Kunden die Rechnungen erhalten, um seine geleistete Arbeit zu bezahlen.

Zu Punkt1: Aerger machen oder Druck aufbauen wird den Prokrastinator noch viel tiefer in die Prokrastination fallen lassen. Ebenso ist mit Depressionen zu rechnen, an die er moeglichweise schon leidet!

Zu Punkt 2: Liebe Worte, Einfuehlungsvermoegen, und Ruecksicht (auch wenn es dir schwer faellt) erreichen vielleicht ein Umdenken. Er wird sich dennoch nicht von heute auf Morgen aendern koennen. Aber wenn er in dir einen verstaendnisvollen Halt erkennt, laesst er sich wahrscheinlich von dir leiten.

Zu Punkt 3: Biete ihm in deinem Gespraech Hilfe an. Sage ihm, dass du ihm gerne bei den Rechnungen helfen moechtest. Schlage vor, dass ihr gemeinsam in ein Paar Tagen damit anfangen koennt (gebe ihm zwei oder drei Tage Vorbereitungszeit).

Grundsaetzlich: Bitte niemals z. B. das Kind als Druck verwenden, z. B. "denke doch mal an das Kind" oder "was soll denn aus uns werden, wenn...." Das baut Schuldgefuehle auf, die unweigelrich zu Depressionen fuehren.

Okay, hier moechte ich erst einmal aufhoeren und deine Reaktion abwarten.

Zum Abschluss moechte ich dir aber ein Kompliment machen, dass du dich um deinen Partner bemuehst und ihm helfen moechtest! Von meiner Seite bekommst du meinen riesen Respekt!!

Viele Gruesse,
JavaBohne

leonardo
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Re: Prokratination beim Partner

Post by leonardo » Fri 12. Jul 2013, 15:45

Hallo Luis,
genau dieses Thema hatten wir im alten Forum schon mal. Kannst du hier nachlesen:

http://www.bychan.de/procrastination/bo ... =2&ID=3048

Viele Grüße
Leo

luis
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Re: Prokratination beim Partner

Post by luis » Tue 13. Aug 2013, 19:43

Liebe Schreiber,

herzlichen Dank für Eure spontane Hilfe! Ich habe versucht die Tipps von JavaBohne zu beherzigen und das hat uns beiden sehr gut geholfen. Mein Partner hat einige Rechnungen gestellt - (noch nicht alle)- aber das ist ja schon ein guter Fortschritt. Auch mir ging es daraufhin viel besser und wir waren nun eine Zeit lang im Urlaub. Deswegen antworte ich auch erst jetzt. Nun sind wir zurück. Wie es nun weiter geht, weiß ich noch nicht. Gerne würde ich mich wieder melden und freue mich, weiter in Kontakt mit Euch zu bleiben.

Herzliche Grüße, Luis

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JavaBohne
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Re: Prokratination beim Partner

Post by JavaBohne » Tue 13. Aug 2013, 22:58

Hallo Luis,

schoen wieder von dir zu hoeren.

Es freut mich wirklich sehr, dass es dir und deinem Partner nun besser geht. Es ist ein schoenes Gefuehl dabei geholfen zu haben.

Dennoch: wie beim Alkoholiker, muessen die Schritte immer wieder von vorne angegangen werden.

Manche Psychologen vermuten, dass die Prokrastination keine Erkrankung, sondern nur durch Training (sein eigenes Verhalten) angewoehnt wurde. Sollte dies stimmen, liesse sich durch gegensteuerndes Training diese Prokrastination beheben! Allerdings sagen dieselben Psychologen, wuerde es mindestens sieben Jahre dauern, bis das neue Verhalten, das alte ersetzt hat!

Weiterhin viel Glueck!

Viele Gruesse,
JavaBohne

luis
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Re: Prokratination beim Partner

Post by luis » Mon 19. Aug 2013, 19:33

Hallo JavaBohne,

leider geht es mir/uns nun wieder schlechter. Mein Partner verschleppt wieder die wichtigen Dinge. Er ist zwar voller Hoffnungen, dass er seine Prokrastination in den Griff kriegen kann, scheitert aber täglich schon an kleinen Schritten. Dazu kommt, das er sagt, ich würde den Zustand verschlimmern durch meine Forderungen. Er schiebt also seine Probleme auf mich. Das ist sehr kränkend für mich. Ich denke nämlich, dass ich schon seit Jahren sehr viel Geduld aufbringe - natürlich raste ich ab und zu aus, weil auch ich ständig Druck spüre.

Eigentlich glaube ich mittlerweile, dass nur noch eine räumliche Trennung hilft, damit es langfristig nicht richtig schlimm zwischen uns wird. Natürlich hoffe ich drauf, dass auch ihm das helfen würde seine Probleme in den Griff zu kriegen.Ich würde sehr gerne mit ihm zusammen bleiben - bin aber völlig überfordert mit der Situation und werde immer mehr reingezogen. Tageweise kann ich die Sorgen wegschieben - aber sie kommen doch immer wieder wie ein Bumerang zurück.

Tut mir leid, dass ich im Moment nichts positives zu berichten habe. Freue mich über eine Antwort, Herzlich, Luis

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JavaBohne
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Re: Prokratination beim Partner

Post by JavaBohne » Mon 19. Aug 2013, 23:01

Hallo Luis,

schoen wieder von dir zu hoeren, obwohl, dass was du berichtest nicht sehr gut ist.

Leider ist es so, dass man einem Prokrastinator schlichtweg nur in einem ganz engen Rahmen helfen kann. Wie du hier im Forum nachlesen kannst, helfen oftmals selbst Therapien nicht oder nicht mehr. Es ist zu oft "zum Verzweifeln".

Wenn ich mich selbst als Beispiel nehmen darf, laufen die Phasen einer Prokrastination bei mir wie eine Amplitude. Das heisst, ich habe z. B. am Anfang des Monats eine Phase staerkster Prokrastination, in der Mitte des Monats eine Hochphase, in der ich alles auf einmal erledige, und zum Ende des Monats geht es wieder in Richtung prokrastinieren - alles wird aufgeschoben und nichts wird erledigt. Wie gesagt, es ist nur ein Beispiel zum besseren Verstehen. In der Realitaet sind die Hoch- bzw. Prokrastinationsphasen natuerlich voellig unregelmaessig.

Wie ich aus deiner Message lese, ist es bei deinem Partner aehnlich. Im Augenblick scheint er wieder eine Prokrastinationsphase zu haben. Deine "Ausraster", die voellig normal und verstaendlich sind, geben deinen Partner nur den Grund weiter abzufallen und noch weniger zu tun. Er sagt es sogar sehr direkt.

Ein Beispiel: Ein Prokrastinator verschiebt den Bankbesuch bis zur letzten Minute, wetzt sich dann die Beine ab, und steht doch vor verschlossener Tuer. Nun ist aber die Bank schuld, weil sie bereits geschlossen hat, nicht der Prokrastinator, den den ganzen Tag Zeit fuer den Besuch hatte! --- Ist das fuer dich verstaendlich, Luis?

Aber aufpassen: Seine Schuldzuweisungen dir gegenueber, sind die der Prokrastination, nicht seine eigenen. Er meint es ganz bestimmt nicht so und sucht nur nach einem Ventil, um selbst nicht als Schwachpunkt dazustehen. Bitte sehe ihm das nach! Wenn du die Kraft hast, rede weiterhin gut auf ihn ein, ohne Druck. Aber ich weiss, dass das nicht immer gehen wird.

Bitte denke auch daran, dass die Prokrastination symbolisch gesehen, eine "Sucht" ist, nichts zu tun! Dieser "Sucht" kann man sich nicht entziehen! Vielleicht sogar niemals!!

Hast du vielleicht mit ihm ueber den Besuch bei einem Psychologen geredet? Vielleicht hilft bei ihm bereits der Kontakt zum Psychologen und die Gespraeche. Vielleicht sprichst du zunaechst mit deinem Hausarzt darueber. Manchmal geht das sogar per Telefon.

Nun aber zu dir. Deine Message klingt in jedem Fall nicht nur nach einem Hilferuf fuer deinen Partner sondern dieses Mal wohl auch nach einem Hilferuf von dir. Oben habe ich die Prokrastination mit einer Art "Sucht" verglichen. Wie man aus der Suchttherapie weiss, zaehlen zu den Betroffenen auch die Angehoerigen. Sie werden oft hinunter gezogen und brauchen nicht selten selbst eine Therapie, meist gegen Depressionen. Solltest du das Gefuehl haben, dass dir seine Prokrastination seelisch ueber den Kopf waechst und vielleicht sogar auch finanziell schaden nimmst, solltest du ernsthaft an ein Ende der Beziehung denken. Was dann aus deinem Partner wird, sollte dir dann zweitwichtig sein. Es geht aber dann um dich und deine Gesundheit und um deine Zukunft.

Ich hoffe, dass ich auch heute wieder die richtigen Worte gefunden habe, dir mit Rat zur Seite zu stehen.

Viele Gruesse,
JavaBohne

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