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Dauerndes Aufschieben, Hypersensibel, Dauermüde

Posted: Thu 16. Jan 2014, 15:47
by procrasterminator
Ich bin mit 25 an den Punkt gekommen, an dem es nicht mehr weiter geht. Es geht um Aufschieberitis oder auch Prokrastinieren genannt.

Ich habe eine Weiterbildung angefangen, die hauptsächlich auf Online Learning basiert. Morgen treffen sich die Teilnehmer wieder zu einer Präsenzphase und ich bin total im ar***. Ich habe so gut wie nichts erledigt. Aber dies ist nur ein Thema, wo ich bis zum kompletten Scheitern alles aufschiebe. Aufräumen, Sport, Meine Band, einen besseren Job suchen, etc., ich bekomme einfach nichts auf die Reihe.

Ich dachte lange, dass vieles auch mit der Angst vor dem Scheitern zu tun hat. Jedoch war ich auch schon in medikamentöser Behandlung gegen Depression, habe auch Venlafaxin genommen und meine Stimmung wurde besser. Ich fing an Sport zu machen, hatte wieder einen ausgeglichenen Schlaf, konnte wieder unter Menschen gehen und all die anderen depressiven Symptome waren weg. Nur das Aufschieben von Pflichten blieb.

Nebenbei muss ich noch erwähnen, dass ich eine leichte ADS habe, jedoch ohne Hyperaktivität. Ich bin eher der chaotische Träumer. Auch hierfür habe ich Medikamente genommen. Von MPH zu Dexamphetamin, von hochdosiertem Venlafaxin zu Trizyklischen AD's wie Trimipramin, etc. Die diversen Psychologen und Psychiater die ich schon durch habe konnten mir auch nicht helfen.

Meiner Meinung nach haben gewissen Antidepressiva sogar dazu geführt, dass meine Selbstüberschätzung sogar stieg und ich darum noch viel mehr Dinge aufschiebe. Z.B. Im Jahre 2010, da habe ich einen Haufen Schulden angesammelt, weil ich die Formulare fürs Arbeitsamt nicht ausfüllte und mit meiner neuen Kreditkarte alles bezahlte. Auch habe ich in meiner Naivität auch Leuten Geld ausgeliehen, von denen eigentlich klar war, dass ich es nicht mehr zurück erhalten werde. Im Nachhinein frage ich mich ernsthaft, wie es dazu kommen konnte. Ich bin trotz allem Chaotismus ein ziemlich vorsichtiger Mensch, vor allem, was das finanzielle Betrifft. Ich habe mich auch schon gefragt, ob dieses Venlafaxin vielleicht eine Manie ausgelöst hat.

Auf jeden Fall hat diese ganze Geschichte mit Therapeuten und Medis so um 2008 herum angefangen. Das heisst, ich habe um die 5-6 Jahre damit verbracht, ziellos ein Medi nach dem anderen zu testen und mein Kopf mit diversem Wissen über Psychologie vollzustopfen. Teilweise habe ich auch ziemlich viel dadurch gelernt, z.B. im Bereich Psychoedukation. Jedoch habe ich keine Lust mehr noch 1 Jahr länger in diesem Hamsterrad stecken zu bleiben. Ich habe mir schon überlegt, es vielleicht noch mit Lithium zu versuchen, da ich irgendwie vermute was 2010 passiert ist, könnte auch eine Manie gewesen sein, aber irgendwie habe ich gar keine Lust mehr auf diese ganze sch***.

Ich erinnnere mich an eine Zeit, als ich Quetiapin (Seroquel) für meine Schlafstörungen bekommen habe. Schlafen konnte man damit, Sport machen auch und ich wurde der langweiligste Mensch der Welt. Ich hatte alles sauber aufgeräumt und war recht diszipliniert. Jedoch hasste ich diesen Zustand, da ich mich wie ferngesteuert fühlte. Auch wurde ich damit noch komischer, als ich es schon bin.

Aktuell nehme ich noch hochdosiertes Johanniskraut (ca. 3-3,5g/Tag) und habe das Gefühl, dass ich eine dickere Haut habe, z.B. bei anstrengenden Kunden bei der Arbeit, aber hinsichtlich des Prokrastinierens tat sich nichts.

Ich stelle mir Theorien zurecht, warum mein Unterbewusstsein sich sträubt, mit dem Lernen anzufangen:
Ist es vielleicht gar nicht die optimale Ausbildung für mich? Wenn ja, warum mache ich sie nicht trotzdem zu Ende? - schliesslich dauert sie nur 1 Jahr.
Liegt es daran, dass mein Lebensstil einfach zu unausgeglichen ist und ich keine Tagesroutine habe, z.B. wann ich aufstehe und schlafen gehe? - Wahrscheinlich, aber daran lässt sich nichts ändern, denn ich habe nun mal Schichtarbeit. Und meine Schlafstörungen hatte ich noch nie richtig in Griff. Melatonin hilft ein bisschen, aber auch nicht immer.
Liegt es daran, dass ich mangels Sport so unausgeglichen bin? - Bis jetzt habe ich nur auf Trimipramin und Venlafaxin richtig Lust auf Sport gehabt, aber nie ohne Medis. Während dieser Zeit jedoch habe ich genau so stark Dinge aufgeschoben. Ich denke, es liegt auch an meiner Hypersensiblität, dass ich ohne Medis keinen Sport machen kann. Ich habe ein sehr starkes Schmerzempfinden und auch nur der kleinste Juckreiz kann ich so gut wie nicht ausblenden. Laute aus dem nichts kommende Geräusche lassen mich zusammenzucken. Ich habe sogar den Eindruck, dass diese Hypersensiblität seit ich all diese Medis durchprobiert habe, immer schlimmer geworden ist - insbesondere nach Seroquel.

Ich denke, die depressive Komponente ist nicht der Grund für das Prokrastinieren. Ich spiele mit dem Gedanken, noch als allerletzten Versuch mit Lithium zu beginnen, da es ja auch Stimmungsstabilisierend wirkt.

Was meint ihr zu der ganzen Geschichte?
Cheers

Re: Dauerndes Aufschieben, Hypersensibel, Dauermüde

Posted: Thu 16. Jan 2014, 18:38
by JavaBohne
Herzlich willkommen in Forum.

Ich bin gerade auf der Arbeit und werde heute Abend meiner Zeit (EST) auf deinen Post antworten.

Viele Gruesse,
JavaBohne

Re: Dauerndes Aufschieben, Hypersensibel, Dauermüde

Posted: Fri 17. Jan 2014, 02:25
by JavaBohne
Deine Geschichte stimmt natuerlich traurig, denn sie ist ergreifend und aus Erfahrung weiss ich, wie es mir selbst in aehnlichen Situation geht. Somit kann ich mitfuehlen und leide gewissermassen mit dir.

Ratschlaege zu den Medikamenten, die du nimmst bzw. genommen hast, kann ich dir nicht geben. Das sollte intensiv mit fachkundigen Medizinern oder Psychologen besprochen werden. Aber ich denke genau da ist der Engpass im Bereich der Prokrastination zu suchen. Die Psychologen haben - ohnen ihnen zu nahe zu treten - keine Ahnung, was Prokrastination uberhaupt ist. Sie behandeln somit am Patienten oder am Leidenden voellig vorbei. Es werden gerne die Depressionen mit Antidepressiva behandelt, aber man geht dem Kern des Problems nicht auf den Grund. Es ist in etwa so, als gaebe man jemanden der staendig ueber Kopfxhmerzen plagt Schmerzmittel, erkennt aber den Tumor im Kopf nicht!

Die Prokrastination entwickelt geradezu die Depressionen, die im Laufe der Jahre an Intensitaet zunehmen. Selbstzweifel und Selbsthass bis hin zu "tragischen Unfaellen" bringen den Prokrastinator am Rande der Verzweiflung oder loeschen ihn aus. Aber was kann man tun? Im Grunde genommen kann man so gut wie nichts tun, denn alle - ausnahmlos alle - Therapien, Ratschlaege, Vorsaetze und was sonst noch, werden nicht oder nur sehr eingeschraenkt funktionieren. Aber deswegen aufgeben? Nein! Niemals!

Ich habe einen sehr zaehnlichen Krankheitsverlauf gehabt, wie du ihn schilderst, allerdings ohne die Medikamenten. Ich war der Verzweiflung sehr nahe, bin zu Psychologen gelaufen, die mir allesamt nicht helfen konnten. Man sagte mir sogar, dass die Prokrastination eine Einbildung sei und ich dementsprechend dagegen angehen koennte. Alles Nonsens. Nachdem ich im Internet gefuehlte 10.000 Seiten ueber dieses Thema gelesen hatte, wurde mir klar, dass eine Hilfe nur aus mir heraus kommen kann. Ich begann die Prokrastination als gegeben anzunehmen und kaempfte nicht mehr dagegen an. Anfangs glaubte ich, es wuerde schlimmer, aber es war nicht der Fall. Der Selbsthass verging sehr schnell, aber die Depressionen blieben.
Spaeter begann ich mit Autogenem Training, dass ich allerdings immer nur sporadisch praktiziere und kaum laenger als acht Monate am Stueck durchhalte. Aber nach ganz wenigen Wochen waren die Depressionen wie weggeblasen, der Lebensmut und die positive Einstellung kamen zurueck, ich pfiff bereits am Morgen, wenn ich den Kaffee machte. Kein Scherz! Jedoch sobald ich das AT aufgab kamen die Depressionen innerhalb weniger Wochen zurueck, meine Stimmung sang und ich hang nur noch rum. Offenbar hilft mir das AT die Depressionen zu ueberwinden. Die Prokrastination jedoch blieb unveraendert erhalten, konnte aber besser damit umgehen. Spaeter konnte ich mich damit arrangieren und empfand es nicht mehr als so schlimm.

In deinem Kommentar steht, dass du an ADS leidest. Somit solltest du mit einem Psychologen/Arzt reden, ob du damit ueberhaupt AT machen solltest. Noch eine Warnung: Sollten deine Depressionen sehr stark sein, rate ich vom AT generell ab oder nur mit anwesendem Anleiter.

Nun, ich bin mir nicht sicher ob dich dir mit meinem Kommentar etwas helfen konnte. Aber mehr als dir gute Laune zu vermitteln, kann ich leider nicht tun.

Wenn du Fragen hast, immer kommen lassen!

Viele Gruesse,
JavaBohne

Re: Dauerndes Aufschieben, Hypersensibel, Dauermüde

Posted: Tue 4. Mar 2014, 16:59
by nova
Hallo procrasterminator,

auch von mir ein herzliches Willkommen im Forum!

Mir scheint, du versprichst dir zu viel von den Medikamenten. Medikamente können natürlich eine gute, unterstützende und auch heilende Wirkung haben, aber in deinem Fall gibt es vermutlich nicht die eine, richtige Medikation, die auf einen Schlag alle Probleme löst. Depressionen und Prokrastination haben sehr viel mit der Psyche zu tun und sind (leider) nicht mit ein paar Pillen zu beheben. Im Bereich der Depressionen gibt es sehr viele Medikamente, die wohl auch recht gut verstanden und erforscht sind, aber meines Wissens in den meisten Fällen eher eine stützende bzw. wegbereitende Komponente für die Psychotherapie sind. Und bei der Prokrastination wüsste ich nicht von Medikamenten, die verschrieben werden.

Kurz gesagt: Anstatt auf den richtigen Medikamentencocktail zu hoffen und alles durchzuprobieren, solltest du Tag für Tag daran arbeiten, dass sich deine Psyche stabilisiert. Auch da gibt es weder ein Geheimrezept noch eine Sofort-Lösung, sondern es ist ein langer Weg. Sicherlich über mehrere Monate, wenn nicht Jahre. Den Weg zu gehen und Stück für Stück Erfolge zu sehen, ist aber super! Ich weiß, wovon ich spreche :) Vielleicht hast du auch Lust, dich unserer kleinen Selbsthilfegruppe anzuschließen? Sozialkontrolle hat mir z.B. sehr geholfen.

Viele Grüße

Re: Dauerndes Aufschieben, Hypersensibel, Dauermüde

Posted: Wed 5. Mar 2014, 19:16
by leonardo
Hallo procrasterminator,
ich habe selber reichlich Erfahrung mit Antidepressiva und kann dir nur sagen, dass die typische depressive Antriebslosigkeit nichts mit Prokrastination zu tun hat. Ersteres bessert sich durch Antidepressiva, letzteres leider überhaupt nicht! Soweit meine Erfahrung. Ich würde an deiner Stelle keine zu großen Erwartungen in die Pharmazie setzen.
Antidepressiva können keine Depression heilen, aber wirksam Symptome lindern und haben daher durchaus ihren Wert. Wenn man die AD absetzt und ansonsten nichts an seinem Leben geändert hat, wird die Depression über kurz oder lang wiederkehren. Und mit dem AT (lieber Gruß an die Bohne) scheint es genauso zu sein.
Prokrastination kann zu Depression führen; andersrum funktioniert es aber auch.
Liebe Grüße
Leo