Partnerin eines Prokrastinators

Beschreibung und Diskussion persönlicher Erfahrungsberichte
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Strupselmutzel
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Partnerin eines Prokrastinators

Post by Strupselmutzel » Mon 22. Sep 2014, 11:14

Hallo,
mein Mann glaubt Prokrastination zu haben und möchte sich professionell beraten lassen. Allerdings gibt es 1000 Gründe, weswegen es noch nicht dazu gekommen ist.
Ich habe ihm eine Selbsthilfegruppe rausgesucht, die ihm evtl. weiterhelfen kann.
Jetzt aber meine Frage: Wie kann ich als Partnerin ihn unterstützen? Manchmal läuft es darauf hinaus, dass ich den Fernseher ausmachen und immer wieder erinnern muss, dass er gerade etwas ganz anderes erledigen wollte. Das hebt nicht gerade die Stimmung und fällt eher in die Eltern-Kind-Rolle. Das kann nicht Sinn der Sache sein, oder? Ich möchte ihn gerne unterstützen, aber nicht bevormunden. Das stärkt sicherlich nicht sein Selbstwertgefühl.

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JavaBohne
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Re: Partnerin eines Prokrastinators

Post by JavaBohne » Tue 23. Sep 2014, 17:57

Hallo Strupselmutzel,

Herzlich willkommen im Forum!

Mit deiner Eingangsfrage sprichst du eines der schwierigsten Themen im Bereich der Prokrastination an: Wie soll man mit einem prokrastinierenden Partner/in umgehen?

Wenn du bereits eine Selbsthilfegruppe zu Rate ziehen moechtest, steht es offenbar sehr schlimm um deinen Partner. Deshalb eruebrigt sich meine Frage, ob er ein "Aufschieber" oder ein "chronischer Porkrastinator" ist. Letzteres wird sicherlich zutreffend.

Das Problem eines chronischen Prokrastinators ist, dass er sein Handeln nicht unter Kontrolle hat und sich selbst nicht so organisieren kann, um ein "normales" Leben zu fuehren. Aufgaben, die fuer jeden anderen Menschen die Einfachheit schlechthin sind, koennen fuer den Prokrastinator eine Qual bedeuten. Es ist nicht so, dass ein Prokrastinator sich beim Aufschieben wohl fuehlt! Er leidet, hat Gewissensbisse, Selbsthass, hat oftmals Depressionen und versteht sich und sein (Nicht-)Handeln ueberhaupt nicht. Er will etwas tun, kann es aber nicht! Oft verfallen sie in tiefen Depressionen, fallen in ein ganz tiefes Loch und kommen nur sehr schwer wieder heraus.

Wie kann man ihnen helfen? Pauschal gesagt, verlaeuft jede Prokrastination anders. Somit verhaelt sich ein Prokrastinator sich und seiner Umwelt gegenueber unter Umstaenden voellig anders. Eines haben sie fast alle gemeinsam: Sie moegen keinen Druck. Verhalten sich kontraproduktiv, wenn man ihnen zu nah auf die Pelle rueckt und sie eventuell vor Ultimaten stellt. Gutes Zureden hilft. Oder wenn du ihn in Aufgaben mit einbindest "Ich raeume das Schlafzimmer auf, machst du bitte schnell das Wohnzimmer. Danach koennen wir gemeinsam einen Film ansehen!" So oder aehnlich koennte es funktionieren. (Bitte verstehe die Symbolik in meinem Beispiel)

Meiner persoenlichen Erfahrung nach, sollten Partner/innen Verstaendnis fuer die Situation des Prokrastinators aufbringen. Das muss aber oft erst einmal gelernt werden, weil Gesunde einfach nicht verstehen koennen, warum jemand prokrastiniert und oft den ganzen Tag wirklich gar nichts macht. Verstaendnis auch beim Namen nennen: "Du, ich weiss, dass du nicht anders kannst, aber....Vielleicht koennen wir es zusammen machen!" Nicht spontan das TV abstellen, das erzeugt Druck und gerade ein Mann fuehlt sich dann sehr bevormundet und blockiert.

Was mir hilft: Ich habe mir eine Excel Tabelle in Kalenderform gemacht. Von oben nach unten stehen die Daten und von links nach rechts halbwegs chronoligisch stehen meine taeglichen Aufgaben. Nach erledigter Aufgabe trage ich eine 1 oder 2, etc. ein. Genau die Anzahl der Aufgeben oder geleisteten Stunden, die fuer die Arbeit/Aufgabe angesetzt waren. Um den Erfolg oder Misserfolg ablesen zu koennen, habe ich neben der Tabelle eine graphische Auswertung. Sie zeigt mir das taegliche Auf und Ab. Nach einigen Wochen habe ich bemerkt, dass ich begann mich dem Kalender zu "unterwerfen". Ich entwickelte den Ehrgeiz mindestens 80% der taeglich immer wieder anfallenden Augaben zu erreichen und jeder Tag mit dieser Zahl oder hoeher gab mir ein gutes Gefuehl. Dieses Feedback ist fuer mich sehr nutzlich und ich brauche es auch.

Vielleicht kannst du so etwas oder auch in einfacherer Form mit deinem Partner zusammen machen. Vielleicht kannst du auch am Anfang Aufgaben mit ihm zusammen verrichten, damit er in einen bestimmten Rhythmus kommt. Lob kommt immer gut an, sollte aber nicht gekuenzelt wirken. Das laute Kritisieren oder die Meinung sagen sind kontraproduktiv und loesen beim Prokrastinator genau das Gegenteil aus.

Zu der Selbsthilfegruppe, die sicherlich sehr hilfreich sein kann, empfehle ich einen geschulten Psychologen bzw. auch/oder einen Psychoanalytiker, der Prokrastination als Krankheit NICHT ALS ANGEWOHNHEIT sieht. Diese Therapeuten sind leider selten zu finden. Deshalb empfiehlt es sich gleich bei der Terminabsprache danach zu fragen. Psychologen, die Prokrastination als "schlechte" Angewohnheit sehen, kommen waehrend der Therapie mit Tausend (Arbeits-)Plaenen, Frageboegen und Arbeitsblaettern, die bei der chronischen Prokrastination in den allermeisten Faellen nicht zum Erfolg fuehren werden. Die Folgen einer verfehlten Therapie koennen fuer einen chronischen Prokrastinator katastrophale Auswirkungen haben!

Ich hoffe, dass ich dir ein wenig helfen konnte und wuensche dir und deinem Partner alles erdenkliche Glueck!

Viele Gruesse,
JavaBohne

Strupselmutzel
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Re: Partnerin eines Prokrastinators

Post by Strupselmutzel » Wed 24. Sep 2014, 09:41

Hallo JavaBohne,

vielen Dank für deine Antwort. Das mit dem Einbinden ist ein guter Tipp! Meißtens fällt es ihm auch leichter, wenn er sieht, dass ich auch etwas mache.
Das scheint bei meinem Mann, glaube ich, auch den meißten Druck darzustellen. Wenn ich nach Hause komme, habe ich Feierabend und kann ein Buch lesen oder erledige nebenbei ein paar Haushaltsthemen, bekomme den Kopf frei und kann ohne Probleme sofort einschlafen.
Mein Mann kommt mit einem schlechten Gewissen nach Hause, keine 8h tatsächlich gearbeitet zu haben und will das abends nacholen. Das klappt natürlich nicht, so dass er dann noch verzweifelter wird und sich gleichzeitig noch mehr vor der Arbeit "drückt". Mit dem schlechten Gewissen geht er dann ins Bett und kann nicht schlafen...

Kalender, Listen, Post-its arteten bislang nur in Projekten aus. Das hatte zur Folge, dass er sich eher mit der Erstellung beschäftigt hatte, als mit der Aufgabe selbst ;)
Das ist nicht böse gemeint, aber wenn ich das manchmal beobachte, kann ich nur schmunzeln. es ist faszinierend, wie einfallsreich ein Mensch sein kann, wenn es darum geht sich vor etwas bestimmten zu drücken.
Er probiert jetzt aus, sämtliche Internetseiten zu sperren, die nicht für die Arbeit notwendig sind. Allerdings gibt es scheinbar viele Seiten ...

Viele Grüße
Strupselmutzel

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JavaBohne
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Re: Partnerin eines Prokrastinators

Post by JavaBohne » Thu 25. Sep 2014, 00:54

Hallo Strupselmutzel,

Kalender, Listen, etc. funktionieren bei den meisten chronischen Prokrastinatoren nicht. Manche jedoch kommen damit sehr gut zurecht. Eigentlich gehoere ich zu den Prokrastinierern, die ebenfalls nicht mit Arbeitsplaenen, Listen oder Aufgabenblaetter zurecht kommen. Allerdings funktioniert meine Exceltabelle sehr gut. Ich kann nicht sagen warum.

Lass deinem Mann ruhig die Internetseiten sperren. Es wird nicht funkionieren und sein Frust wird groesser, aber wenigstens tut er ueberhaupt etwas. Das kann wichtig sein. Aber er muss/soll selbst darauf kommen, dass es nichts oder wenig bringt. Hast du schon mal mit Alkoholikern zu tun gehabt? In meiner Vergangenheit, lange bevor ich wusste, dass ich chronischer Prokrastinierer bin, hatte ich haeufig mit Alkoholikern zu tun. Sie zeigen in etwa das gleiche Muster an Alkohol zu kommen, wie der Prokrastinator, um nichts zu tun! Klingt unlogisch? Nein, wirklich nicht. Stelle dir vor, dass....

ein Alkoholiker kann nichts tun, um ein Glas Bier stehen zu lassen, waehrend
ein chronischer Prokrastinator nichts tun kann, um eine Arbeit/Aufgabe zu beginnen bzw. zu tun!

Es ist dasselbe Muster mit umgekehrten "Vorzeichen"? Dabei brodelt es im Prokrastinator, weil er innerlich darauf brennt, jetzt mit der Aufgabe/Arbeit anzufangen, sobald er ....*was auch immer*.... gemacht hat. Dieses ....*was auch immer*.... kann alles bedeuten. Fuelle die Punkte ruhig mit all den Beispielen aus, die dein Mann benutzt, um nichts zu tun. Kommt dir bekannt vor? Bitte behandel ihn wie einen Alkoholiker und gehe mit ihm in einer schlimmen Phase genauso um, als sei er ein Alkoholiker. Ich bin fest davon ueberzeugt, dass das eher etwas bringt, als ihm mit Konsequenzen zu drohen!

Vielleicht koenntest du auch Aufgaben ankuendigen! "Du, wir wollten schon lange den Dachboden aufraeumen. Weisst du was, morgen Mittag fangen wir beide an. Was haeltst du davon?" Du kuendigt etwas an und beziehst ihn und seine Meinung mit ein. Er wird darauf eingehen und eventuell den Termin auch einhalten. Wenn er verschiebt, rede mit ihm, gebe ihm noch eine Stunde und dann nehme ihn liebevoll an die Hand (keinesfalls schroff oder aggressiv - erinnere dich --> Alkoholiker) und nehme ihn mit zum Dachboden. Bitte verstehe wieder die Symbolik in meinem Beispiel. Je oefter er ueberhaupt etwas sinnvoller, also Aufgaben ausfuehrt, desto eher gewoehnt er sich daran, dass das normal ist. Auch wenn ein chronischer Prokrastinator nicht umtrainiert werden kann, so kann er dennoch um Einiges agiler werden. Und vielleicht schaffst du es ja doch mit ihm zusammen erfolgreich zu sein.

Viele Gruesse,
JavaBohne

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