Ist das Aufschieben von Gefühlen auch Prokrastination?

Beschreibung und Diskussion persönlicher Erfahrungsberichte
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pro-cras
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Joined: Sun 19. Aug 2018, 16:08

Ist das Aufschieben von Gefühlen auch Prokrastination?

Post by pro-cras » Sun 23. Sep 2018, 18:37

Liebe Foristen
ich brauche eure Hilfe!

Soviel und Sachliches ist von mir in den letzten Tagen über krankhaftes Prokrastinieren geschrieben worden, und nun erlebe ich derzeit ein Aufschieben, das mich nicht vor Ängsten oder Unlust, sondern vor tieftraurigen Gefühlen schützen will. Und an dem es nichts zu therapieren, vielleicht sogar zu akzeptieren gibt?

Es ist nicht die Trennung an sich, die zum Jahresende auf mich zukommt (und die unter den gegebenen Umständen nicht aufschiebbar ist), sondern die gefühlsmäßige Auseinandersetzung mit ihr, der ich mich immer wieder entziehe – sie vor mir herschiebe.

Die Situation ist schnell erzählt: Aus wirtschaftlichen und familiären Gründen sieht sich meine Beziehungs-Partnerin gezwungen (und dies keineswegs leichten Herzens!), in den Schoß ihrer Ursprungs-Familie zurück zu kehren. Ich kann das akzeptieren, weil unsere Beziehung auch mich von meiner Vor-Familie getrennt hatte, ich in ihrer Familie nie „ankommen“ durfte, und der kulturelle Unterschied seinen Tribut fordert.

Wir beide erleben die letzten Wochen sehr intensiv und wohlwollend miteinander, aber jeder Gedanke an den Moment der endgültigen Trennung wird von jedem von uns beiden mit wichtigen praktischen Überlegungen gefüllt, während die drängenden Gefühle zu schmerzlich sind, als dass sie bereitwillig Platz greifen dürften.

Wir wollen diese Gefühle nicht an uns heranlassen, weil wir sie beide schon einmal durchleben mussten, als wir uns zum ersten Mal als Jugendliebe trennen mussten (um uns dann 30 Jahre später wiederzuentdecken). Ein déjà-vu und déjà-vécu, das sich bitte nicht melden soll! Die neuerliche Trennung ist - wie damals - nicht aufschiebbar, aber nun müssen die damit verbundenen Traurigkeitsgefühle warten, bis sie am Ende eh nicht mehr aufzuhalten sind?

Auch eine Art des Aufschiebens. Ein typisch männliches oder einfach normales Schutzverhalten, unschädlich und Teil eines individuellen Bewältigungsverhaltens? Wie seht ihr ein so gar nicht professionelles Aufschiebeverhalten?
Und: Kann die Erklärung für ein derartiges Aufschiebeverhalten hilfreich sein für den Umgang mit anderen gefühlsträchtigen Situationen, die wir vor uns herschieben wollen?

Liebe Grüße
pro-cras

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JavaBohne
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Re: Ist das Aufschieben von Gefühlen auch Prokrastination?

Post by JavaBohne » Sun 23. Sep 2018, 20:29

Hallo pro-cras,

es ist sehr nett und ich schaetze es sehr, dass du uns hier im Forum, sozusagen als deine Prokrastinationsfamilie, an deinem neuen ganz persoenlichen Aufschiebeverhalten teilhaben laesst. Aufgrund meiner gesamten Lebenserfahrung - ich werde naechste Jahr runde 60 "Yeaahhh" - denke ich, kann ich ganz bestimmt aehnliche Situationen - wenn es die ueberhaupt gibt - anfuehren. Doch moechte ich hier zunaechst einen Aufruf starten, dass sich unsere lieb geschaetzen Damen des Forums melden und dir vielleicht das Eine oder Andere dazu sagen koennen.

Babette, Troedeltrine, moechtet ihr pro-cras einige Worte oder Ratschlaege mit auf den Weg geben? Waere echt nett!

Ich werde mich zu diesem Thema wieder melden; versprochen.

Viele Gruesse,
JavaBohne

The_desperate_one
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Re: Ist das Aufschieben von Gefühlen auch Prokrastination?

Post by The_desperate_one » Tue 25. Sep 2018, 08:23

Hallo pro-cras,

ich fühle mit Dir. Mögen die Dinge zu einem guten Ende führen für euch beide.

Ich würde das Wegschieben der Trauer (vielleicht auch Wut und anderer Gefühle) als normal ansehen und der eigenen emotionalen Intuition zunächst mal vertrauen. Außerdem ist Deine Partnerin ja noch nicht physisch weg - die Gefühle haben also noch gar keinen vollständig realisierten Anlass. Vielleicht aber überkommt Dich jetzt doch noch die eine oder andere Emotion, wenn der Termin näher rückt - Sensibilität für Dein Inneres hast Du ja bereits, quasi die Fühler nach Innen schon ausgestreckt (und dabei gemerkt, das Praktischem zunächst mal Vorzug gewährt wird). Das zu beobachten und erkennen ist doch eigentlich genau richtig :) Ich habe bei mir (auch bzw. generell) manchmal selbstkritisch das Gefühl, dass ich innerlich zu wenige solche Gefühle wie Trauer hätte - aber langsam denke ich, ist das wohl einfach so und wichtiger ist größere Selbstakzeptanz, Gelassenheit dass alles schon seine Ordnung hat und geringere Selbstkritik.

Liebe Grüße,
Jan

pro-cras
Posts: 79
Joined: Sun 19. Aug 2018, 16:08

Re: Ist das Aufschieben von Gefühlen auch Prokrastination?

Post by pro-cras » Tue 25. Sep 2018, 13:48

Liebe JavaBohne und Jan
für eure Empathie lieben Dank!

Mir selber ist inzwischen klar geworden, dass das Aufschieben von Erledigungen, wenn/weil sie mit bestimmten Gefühlen verbunden sind, und das Aufschieben von Gefühlen, wenn/weil sie mit bestimmten Erledigungen verbunden sind, auf jeden Fall eines bleibt: ein Aufschieben, das ich in der Spanne zwischen Reflex und Bewusstheit handhaben kann: So, wie es durchaus ein gutes, nützliches, beschützendes Aufschieben im Alltag des Handelns geben darf, so darf ich mir das auch bei meinen Gefühlen zugestehen.

Einem ganz wichtigen Aspekt darüber hinaus habe ich mich wieder einmal stellen dürfen: dem der Liebe. Ich meine hier nicht diese vage rosa Wolke mit ihren Derivaten Eigen-, Partner-, Mutter-, Geschwister-, Vaterlands- und sonstiger Liebe, sondern dieses konstruktive universelle Prinzip, das etwas mit den Grundlagen unserer Existenz zu tun hat. Wenn Materie als Teilchen oder Welle schwingen kann, und wenn mehr oder weniger harmonisches Oszillieren auf dieser submolekularen Ebene dafür sorgt, dass wir in uns selbst und im Bezug auf andere uns im mehr oder weniger vollständigen Besitz von "Energie" fühlen (weil nämlich Schwingungen Energie transportieren oder behindern können), dann ist dies genau der Wirkungsmechanismus dessen, was wir Liebe nennen in ihrer vollumfänglichen (auch christlichen) Bedeutung.

Ich bin dankbar für diesen Reminder, weil ich immer wieder auf Prokrastierende stoße, deren kurzfristig gute Behandlungsserfolge keine Nachhaltigkeit finden, und bei denen ich immer wieder mit den gleichen Mitteln versuche, dorthin durchzudringen, wo das Aufschieben tatsächlich verankert ist.

Nun ist mir deutlich geworden, dass weit jenseits der praktischen Aspekte von Zeit und Organisation, und auch jenseits der emotionalen (gehirntechnisch immer noch grobstofflichen) Auslöser es eine Ebene geben muss, auf der Aufschiebeverhalten in einer Weise "programmiert" ist die ich "energetisch" nennen will.

Sie aufzuspüren und Ihnen in wirkungsvoller Weise zu begegnen ist eine Herausforderung, der ich mich in den kommenden Wochen intensiv widmen will, nachdem das euch bereits vorgestellte "duale" Behandlungssstem (bestehend aus Coachinganteilen ("LEZGO!") und psychotherapeutischenn Tools) immer wieder Wirksamkeitslücken aufweist, die ihr (so lese ich das aus euren zahlreichen früheren Posts) ja selbst wohl auch immer noch erlebt: Prokrastination als unbelehrbares Stehaufmännchen.

Ich werde also gerne auch künftig für Einzelfragen zur Verfügung stehen, möchte ich aber zu grundsätzlichen Betrachtungen über Prokrastination über das Bisherige hinaus erstmal mich zurückhalten, bis ich dieser Fragestellung näher gekommen bin. Ich meine, hier, auf unserer energetischen Ebene, die gemeinsame Berührungspunkte mit unserer Spiritualität hat, müsste der Schritt von der "Behandelbarkeit" zur "Heilung" von Prokrastination vollzogen werden können.

Liebe Grüße
pro-cras

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