Liebe Freunde,
in der Hoffnung, dass die jetzt noch eingereichten Posts veröffentlicht und weiterhin einsehbar sein werden, möchte ich auf die Meinung der Autoren Lukas Nissen und Michael Sturm hinweisen (nachzulesen in „Emotionsvermeidung hinweisen - Eine integrative Methode zur Regulierung des inneren Alarmsystems“, Junfermann Verlag 2018). Sie ist bezüglich der Prokrastination dort hilfreich, wo aufschiebendes Verhalten emotional fundiert ist, auf alten Negativ-Erfahrungen aufbaut und zu aktuellen aversiven und vermeidungsfördernden Reaktionen führt.
Es wird zunächst die Frage gestellt, ob die belastenden Zustände Ausdruck einer Krankheit sind oder eines abnormen psychischen Systems. Ob möglicherweise eine dysfunktionale Eltern-Kind-Beziehung bzw. ein schädliches Elternverhalten solchen einen belastenden emotionalen Zustand verursacht hat, oder ob dies vielleicht ganz einfach zur Natur (nicht nur) des Menschen gehört. In letzterem Falle wird berechtigterweise die Frage nach dem Sinn eines solchen (durchaus leidbesetzten) Mechanismus gestellt - und beantwortet.
Tatsächlich wird hier – wie ich dies bereits in vielen meiner Posts zu bedenken gab – von einem evolutionär sehr alten Mechanismus gesprochen, der dem unmittelbaren Überleben dient: im Falle einer Bedrohung werden die Programme zur Flucht (Ausflucht) oder Eliminierung (bzw. Verzögerung) der Bedrohung ausgelöst.
„Mit der Fähigkeit des menschlichen Verstandes zur symbolischen Repräsentation können dann auch an sich ungefährliche Signale bedrohlichen Charakter bekommen und Alarmreaktionen auslösen“. Phobien beispielsweise funktionieren ähnlich.
Ob das einzelne Individuum aus seiner Lebensgeschichte Erfahrungen an die Oberfläche holt, und ob er diese dann positiv oder negativ für seine akute Gegenwart verwendet, haben die Autoren ebenfalls untersucht und berichten, dass sie für ihre schematherapeutische Arbeit wichtige Anregungen erhalten haben aus achtsamkeitsbasierten Methoden wie der
• Acceptance and Committment Therapy (ACT) (Hayes, Strosahl & Wilson, 2014)
• Compassion Focused Therapy (CFT) (Gilbert, 2013)
• Mindfulness Based Cognitive Therapy (MBCT) (Zindel, Segal, Williams & Teasdale, 2015)
• Mindful Self-Compassion (MSC) (Germer, 2015) und der
• Pragmatic Experiential Method (PEM) (Atkinson, 2005).
]Nach ihrer Beobachtung veränderte sich der im Rahmen der oben bezeichneten Methoden erhaltene Zustand der offenen und wohlwollenden Präsenz sich selbst und anderen gegenüber jedes Mal in dem Moment in einen leidvollen Zustand, an dem die Haltung der offenen und wohlwollenden Präsenz verlassen wurde. Das Auftreten von Alarmreaktionen, die unmittelbar zur Blockierung von unangenehmen Handlungen führen und gängige Auslöser dieses Prokrastinations-Typus sind, kann – und so sind auch meine praktischen Erfahrungen – mit Methoden, die eine aufmerksame und achtsame Wahrnehmungen unterstützen, wirkungsvoll vermieden und entlernt werden.
In der praktischen Arbeit bedeutet das für die Betroffenen, die prokrastinationsauslösenden Erinnerungen und Gefühle nicht etwas zu ignorieren oder gar auf später zu verschieben, sondern sich ihnen ruhig und wohlwollend zuzuwenden, um sie auf ihren Platz in der Vergangenheit zurück zu weisen. Hierfür stehen spezielle schematherapeutische, psychotherapeutische oder Coaching-Methoden zur Verfügung, in denen die bisherigen hinderlichen Annahmen über sich selbst in ein neues und dann auch wahres Licht gestellt werden.
Auch hier zeigt sich klar, dass Prokrastination nicht die "Krankheit" ist, die es zu behandeln gilt. Sie ist allenfalls ein deutliches Signal, das wir wahrnehmen und für uns nutzen können. Die prokrastinationsauslösenden "dysfunktionalen" Erinnerungen müssen irgendwann als nicht mehr maßgeblich für die künftigen Erwartungen ausgemustert werden.
Liebe Grüße
pro-cras