Philosophisch betrachtet - Mensch und Natur

Themen, die irgendwie mit oder doch nicht mit Prokrastination zu tun haben.
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JavaBohne
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Philosophisch betrachtet - Mensch und Natur

Post by JavaBohne » Wed 1. Jul 2015, 15:02

Liebe Foristen,

ich bin sehr naturverbunden, ohne dass ich wie viele andere Tiere oder scheinbar tote Gegenstaende personifiziere. Ich betrachte ein Tier als durchaus schuetzenswertes und gleichberechtigtes Lebewesen, dem der Mensch dennoch aufgrund seiner hoeheren Entwicklung hilfreich zur Seite vorsteht bzw. vorstehen sollte. Dabei moechte ich nicht unbedingt auf die religioesen Schriften verweisen, aber dort steht schon in Bezug auf Natur und Tierwelt, "...huete und bewahre....", als ein aus meiner Sicht ganz toller Merksatz, ueber moegliche Teilaufgaben des Menschen schlechthin. Dieser Satz enthaelt auch voellig losgeloest von seiner Herkunft eine sehr aussagekraeftige und zeitlose Aufforderung an den Menschen, sich in einer bestimmten Art und Weise zu benehmen und zu verhalten!

Nun, ich hatte gestern ein Erlebnis, dass mich so sehr nachdenklich machte, dass ich heute darueber schreibe. In meinem Garten standen seitdem ich in dieses Haus einzog zwei Baeume, die vor vier Jahren bereits recht gross waren. Doch in der Zwischenzeit wuchsen sie sehr stark und legten ihre schweren und maechtigen Aeste dramatisch auf das Dach. Bei jedem Windstoss massierten die Aeste das Dach so sehr, dass bereits Spuren in den Bitumenschindeln sichtbar wurden und die Zerstoerung des Daches und somit das Eindringen von Wasser nur noch eine Frage der Zeit war.

Um mich und dem Nachbarn, auf dessen Dach mein Baum ebenso Schaeden verursachen koennten, vor solchen zu bewahren, entschloss ich mich die Baeume stark beschneiden zu lassen. Ich redete mit dem Chef eines solchen "Baumpflegers", der mich aufmerksam machte, dass aus verschiedenen Gruenden beide Baeume gefaellt werden muessten. Eines der Gruende waren die bereits stark sichtbaren Wurzeln, die im Begriff waren die Betonterasse anzuheben. Mit diesem Gedanken, die Baeume zu faellen, hatte ich mich jedoch noch nie vorher beschaeftigt, sah aber ein, dass meine Baeume tatsaechlich doch weg mussten, einfach weg! Also liess ich die Fachleute gewaehren.

Als ich gestern Nachmittag bei geschlossener Jalousie ins Wohnzimmer eintrat, war es aussergewoehnlich hell. Ich oeffnete die Terrassentuer und trat hinaus. Welch ein Schock! Beide ueber die Jahre "lieb" gewonnenen Baeume, waren wirklich weg. Mich ergriff die Situation, dass die Baeume nun nicht mehr da waren dennoch sehr. Bis jetzt waehrend ich dies schreibe, habe ich eine Art Traurigkeit entwickelt, die sich von dem "sich an etwas gewoehnt haben" unterscheidet. Aber warum? Was hat mich unbewusst ueber das "daran gewoehnt sein" hinaus mit diesen beiden Baeumen verbunden, dass ich sie nun vermisse und irgendwie traurig bin? Und das, obwohl ich die Baeume solange sie standen nie wirklich bewusst wahrgenommen habe!

Hier an dieser Stelle moechte ich gerne euch Foristen um Beteiligung bitten, um eure Meinungen abzugeben, warum der Mensch ueber den Verlust von etwas scheinbar Totem eine Art Traurigkeit entwickeln kann. Habt ihr Aehnliches erlebt? Und wie habt ihr euch dann verhalten? Und vor allem, wie haben euch eure Erlebnisse beeinflusst und eventuell gepraegt? In diesem Thread geht es mir eher um den philosophischen Aspekt!

Waere schoen von euch zu lesen!

Viele Gruesse,
JavaBohne

pro-cras
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Re: Philosophisch betrachtet - Mensch und Natur

Post by pro-cras » Tue 9. Oct 2018, 12:55

Liebe JavaBohne,

vielleicht bist du ja in der Lage, meinen verschwundenen Post zum Thema "nach mir die Sintflut" als Antwort auf deine philosophische Frage zu Mensch und Natur zu verstehen - und zu veröffentlichen. Denn:

Auch ich sehe mich, ähnlich wie du, sehr mit dieser Welt verbunden. Auch ich betrachte sie als ein schützenswertes Wesen, dessen Wohlergehen wir Menschen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Auch ich sehe dieses "...Hüte und bewahre...." als Auftrag und Lebensversicherung für den Menschen schlechthin. Dieser Satz enthält tatsächlich eine Aufforderung an den Menschen, sich in einer bestimmten Art und Weise zu benehmen und zu verhalten! Und zwar unaufschiebbar.

Nun, auch ich hatte vor ein paar Tage ein Erlebnis, das mich so sehr nachdenklich machte, dass ich heute darüber schreibe.

In meiner näheren Umgebung stehen Bäume, die seit Hunderten von Jahren einen Forst darstellen, der leider über einem Braunkohlelager wächst, das ein Energiekonzern für sich und zur Energieherstellung abbaggern will. Dass hierzu diese Bäume fallen sollten, war ein Wunsch des Konzerns, den viele Menschen nicht akzeptieren wollten, weil beim Thema Energie viele andere Aspekte eine Rolle spielen, nicht allein das Produktionsbedürfnis eines Versorgungsbetriebs. Tatsächlich aber werden viele dieser Diskussionen, die mit notwendigen Veränderungen zu tun haben, seit Jahren aufgeschoben.

Als ich zudem gestern das Internet öffnete, und ich den neuesten Bericht des internationalen Klimarats las, ergriff mich die Aussicht, dass wir das Klima möglicherweise nicht mehr in den Griff bekommen könnten, sehr. Ich habe Kinder, denen ich eine bewohnbare Welt wünsche, und für die ich mir wünsche, dass die dafür notwendigen energiepolitischen Maßnahmen nicht weiter prokrastiniert werden. Bis jetzt, während ich dies schreibe, habe auch ich eine Art Traurigkeit und auch Wut entwickelt, die sich von dem "sich an etwas gewöhnt haben" unterscheidet. Ich habe mich, wie wir alle, leider zu sehr daran gewöhnt, dass das Wichtige auf der Stelle tritt, dass falsche Interessen bedient werden, bis es möglicherweise zu spät für eine Veränderung im erhaltenden Sinne ist. Aber warum? Was hat mich unbewusst über das "daran gewöhnt sein" hinaus mit dem Klima dieser Welt verbunden, dass ich es irgendwann vermisse werde, und dass ich darüber irgendwie traurig bin? Und das, obwohl der Amazonas, Kirabati oder der Eisbär doch so weit weg sind?
Dabei kam mir folgender Gedanke, den ich zu bedenken geben möchte:

Das Klimaschicksal dieser Welt bis zum Gehtnichtmehr vor sich herzuschieben ist ein Pokerspiel mit der Haltung: Nach mir die Sintflut. Ein Pokerspiel auf Zeit.

Während in einer x-ten Klimakonferenz oder vom Klimarat die Konsequenzen immer detaillierter herausgearbeitet werden, was passieren könnte, wenn die Partie verloren gehen sollte, überschaut der einzelne Prokrastinierer meist nur ungenau, was ihm tatsächlich droht. Trotzdem: Ähnlich wie bei der Klimaerwärmung ist die Frage bei hartnäckigen Prokrastinierern nicht mehr die, ob das Spiel verloren geht, sondern lediglich wann. Auch in den privaten Prokrastinationspoker gibt es die berüchtigten Kippelemente, in denen bestimmte Konsequenzen sich verselbständigen und kaum mehr rückgängig zu machen sind. Und wie der individuelle Prokrastinierer sich weiterhin im Netz seiner hochnotpeinlichen Selbstbefragungen verstrickt und dabei über Jahre nicht aus seinem Aufschiebeverhalten herausfindet, manövriert sich die klimabedrohte Menschheit näher und näher an den Point of no Return.

Jeder Versuch, sich aus der Aufschiebegewohnheit zu befreien, muss mit der Frage beginnen, wieviel Risiko der Betroffene bereit ist, in Kauf zu nehmen. Daraus lassen sich die Maßnahmen und deren Intensität ableiten, die für einen Veränderungsprozess getroffen werden müssten.

Wasch‘ mir den Pudel, aber mach‘ mich nicht nass – nach diesem Prinzip bewegt sich die Politik höchst unentschlossen an den schwierigen Themen vorbei – wir „kleine“ Prokrastinierer machen es genauso. Schwere persönliche oder wirtschaftliche Verwerfungen nehmen wir in Kauf, indem wir simple Güterabwägungen nicht vornehmen wollen – oder nicht können, wenn bestimmte Grundelemente nicht geklärt sind oder falsch bewertet werden.

Prokrastination überwinden ist Risikominimierung. Dafür müssen wir erkennen, dass das Risiko eines von uns selbst gesteuerten Wandels weitaus geringer, weil überschaubarer ist als alle die Veränderungen es sein werden, die durch unser Nicht-Handeln losgetreten werden.

Vor dem Hintergrund der Ereignisse um den Hambacher Forst oder nach x-ten Veröffentlichung eines Berichts des Klimarats (IPCC) interpretiere ich die geschilderte Traurigkeit als Reaktion darauf, dass wir uns dem Auftrag zum Schutze unserer Welt nicht immer ausreichend gewidmet haben, uns in egoistischer Weise nur um unser kurzfristiges Wohlbefinden gekümmert haben, und die Gesamtverantwortung nicht immer ausreichend im Blick gehabt haben. Die Tatsache allein, dass sich die sogenannten Experten nicht einig sind, ob und wie und wann politische oder gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen sind, entbindet nicht von der Aufgabe, der von dir geschilderten Traurigkeit ein Gesicht, eine Sprache und eine persönliche Handlungsbereitschaft zu geben. Mit dieser Handlungsaufforderung ist allerdings auch schon eine Verhaltensaufforderung verbunden, indem beispielsweise die bisherigen Begründungen für die zugelassene Zögerlichkeit/Bequemlichkeit überprüft und in Frage gestellt werden - nicht philosophisch, sondern sehr pragmatisch. Besonders im Verhältnis Mensch zu Natur.

Liebe Grüße
pro-cras

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JavaBohne
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Re: Philosophisch betrachtet - Mensch und Natur

Post by JavaBohne » Tue 9. Oct 2018, 21:27

Hallo pro-cras,

wie du meiner PM entnehmen konntest, ist dein Beitrag "nach mir die Sintflut" nicht verloren gegangen, sondern ich habe ihn geloescht. Dein Beitrag war durch und durch politisch motiviert, was in diesem Forum nicht erwuenscht ist.

Vielen Dank fuer dein Verstaendnis,
JavaBohne
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