Prokrastination

Ergebnisse der Online-Umfrage

Daten der Umfrage

Die zugrundeliegenden Daten dieser Studie können in anonymisierter Form zu Forschungszwecken heruntergeladen werden: (Zip-Datei, tbz2-Datei)

Sollten Sie weitere Erkenntnisse aus den Daten gewinnen, veröffentlichen wir diese gerne bzw. verlinken auf Ihre Seite. Also bitte informieren Sie uns.

Umfang und Ziele

Von Mitte Juli 2006 bis zum 7. Dezember 2007 hatten 1033 Personen auf der Webseite http://www.bychan.de/procrastination eine Umfrage zu verschiedenen Aspekten der Prokrastination ausgefüllt. Zur Auswertung konnten jedoch nur 1008 verwendet werden, da 25 Bögen entfernt wurden, bei denen es sich um abgebrochene Aktionen handelte. Mit 1008 verwendbaren Fragebögen handelt es sich um eine der größten Umfragen zu diesem Thema, die bisher durchgeführt wurden.

Die Umfrage diente mehreren Zielen. Eines bestand darin, herauszufinden, ob es Auswirkungen durch das Prokrastinationverhalten auf das berufliche Leben bzw. Schule und Studium gibt. Ein weiterer Fragenkomplex beschäftigte sich mit der Frage, ob es durch die Aufschieberei zu Beeinträchtigungen bei Psyche und Gesundheit kommen kann. Mehrere Fragen ergründeten die Arbeitsweise und die Arbeitseinstellung von Prokrastinatoren. Von besonderer Wichtigkeit sind außerdem die Fragen zur zeitlichen Entwicklung der Prokrastination.
Über 96 %, die an der Befrragung teilnahmen, gaben an, unter Aufschiebeverhalten zu leiden. Eine Tatsache, die sich dadurch erklärt, dass die meisten gezielt die Webseite aufgesucht hatte, um weitere Informationen über Prokrastination zu erhalten. Nur 12,5 % gaben an, zufällig auf der Webseite gelandet zu sein.

Diese Umfrage stellt also keinen repräsentativen Querschnitt durch die Bevölkerung dar, sondern spiegelt die Situation von Personen wieder, die gezielt nach Informationen über Prokrastination suchten. Möchte man die Zahlen auf die Gesamtbevölkerung hochrechnen, so hilft sicherlich Prof. Joseph Ferraris (DePaul University Chicago) Abschätzung. Er hatte in mehreren Studien herausgefunden, dass etwa 20 %  der Bevölkerung chronisch unter Prokrastination leiden. Ein Ergebnis, welches nicht nur für die USA gilt, sondern auch auf andere Länder übertragbar ist, wie er in Vergleichsstudien zeigt.

Altersstruktur der Teilnehmer/innen

Fast die Hälfte der Teilnehmer/innen waren nicht älter als 30 Jahre (48,62) und 74,87 % waren nicht älter als 40 Jahre. Es wäre natürlich fahrlässig daraus zu schließen, dass Prokrastination ein Problem von Jüngeren wäre, denn zum einen spielt es sicherlich eine Rolle, dass das Internet nach wie vor hauptsächlich von jüngeren Altersgruppen benutzt wird, zum anderen deuten die Antworten eindeutig darauf hin, dass sich im Lebensverlauf äußerst selten eine Besserung bzgl. des Aufschiebeverhaltens gibt. 61,6 % gaben an schon immer, seit ihrer frühesten Kindheit oder bereits seit ihrer Schulzeit darunter zu leiden. Über 56 % gaben an, dass sich der Verlauf ihres Leidens verschlechtert (40,45 %) bzw sogar deutlich verschlechtert (16,14 %) habe. Fast ein Drittel der Teilnehmer/innen (31,15%) gaben an, dass sich ihr Zustand nicht verändert habe. Nur knapp über 10 % sprachen von einer Besserung.

Auswirkungen auf Psyche und Gesundheit

Während wir mit 970 Personen, die unter Prokrastination zu leiden glauben, eine statistisch sehr gut auswertbare Stichprobe haben, ist die Stichprobe der Nicht-Betroffenen mit 38 Personen sehr klein und nicht signifikant, dennoch werden wir uns auf die Ergebnisse in einzelnen Fällen beziehen.

Überaschend sind die äußerst geringen Fälle von Reizmagen und Magenverstimmungen. 86,1 % gaben an "selten", "sehr selten" oder "nie" unter Magenverstimmungen zu leiden.  Intuitiv würde man erwarten, dass der mögliche  permanente Stress durch Aufschieberei sich psychosomatisch auf den Magen-Darm-Trakt auswirken könnten.  Allerdings ist die Prozentzahl in der Gruppe derer, die nicht unter Prokrastination leiden bzw. keine Angaben dazu machten  nahezu identisch, d.h. 86,8 %.

Ernste Schlafstörungen scheinen jedoch ein  Problem  bei Prokrastination darzustellen. Immerhin sind 40,6 % davon "immer" ""sehr oft" und "oft" betroffen, bei den Nicht-Betroffenen sind es im Vergleich dazu nur 26,3 %.
 Noch gravierender sieht es mit Depressionen aus,  fast  70 % (68,1 %) geben an "immer" ""sehr oft" und "oft" unter Depressionen zu leidern, davon immerhin 4,1 % (also 40 Personen), die permanent darunter leiden. Bei den Nicht-Betroffenen sind es nur 23,6 %, die "immer" ""sehr oft" und "oft" von Depressionen befallen sind. Jeder zweite Aufschieber (51,7 % "immer" ""sehr oft" und "oft" ) gaben an leidet häufig oder immer unter Angst, während bei den Nicht-Betroffenen nur jeder fünfte (19,5 %) betroffen ist.

Aufschieberei in Schule, Studium und Beruf

Die Aussage "Wenn ich einen Chef habe, den ich nicht leiden kann, dann bin ich unmotiviert und lasse Arbeiten unerledigt." beantworteten 23,7 % der nicht Betroffenen mit "Stimmt vollkommen" und "Stimmt größtenteils", während für vier von zehn Prokrastinatoren ein ungeliebter Chef zur Aufschieberei führt. Beide Gruppen legen nahezu gleichermaßen viel Wert darauf, dass ihre Arbeit geschätzt wird.

Mit 86,1 % gaben erschreckend viele Personen an, dass Ihnen ihr Prokrastinationsverhalten bereits in Studium oder Beruf geschadet habe. Jeder zweite ist sich sogar sicher und beantwortete diesen Punkt mit "Stimmt vollkommen". Bei der schärferen Formulierung "Meine Aufschieberei hat mir in Studium oder Beruf bereits sehr geschadet." geben immerhin noch 28,6 % also jeder Vierte an, dass dies vollkommen stimme.

Interessant ist auch, dass die meisten, die aufschieben gewissermaßen vom schlechten Gewissen geplagt werden, denn auf die Aussage "Wenn ich Dinge aufschiebe, stört mich das." antworten fast 60 % (59,1 %) mit einem "stimmt vollkommen". Fass man die Antworten "Stimmt vollkommen" und "stimmt größtenteils" zusammen so erhält man 88,1%.

Jeder zweite gab an, prinzipiell alles auf den letzten Drücker zu erledigen.

Fast 60 % (59,9 %) gaben an dass es größtenteils bzw. vollkommen stimme, dass sie bevor sie mit einer Aufgabe beginnen  erst einmal Ordnung schaffen. Das ist natürlich normalerweise ein sinnvolles Vorgehen, wenn nicht das Ordnung schaffen zum Selbstzweck wird. Aber dies lässt sich natürlich nicht aus dieser Frage ableiten.

In vielen Publikationen wird erwähnt, dass die meisten Prokrastinatoren zum Perfektionismus neigen. einem Perfektionismus, der allzu häufig dann lähmend wirkt. "Wenn ich etwas mache, dann sollte es möglichst perfekt sein!" beantworten 38 % mit "Stimmt vollkommen" und 40,9 % mit "stimmt größtenteils".

Sicht der anderen

Mehr als ein Viertel der Befragten, glaubt dass man sie innerhalb der Arbeitsstätte möglicherweise für faul hält. In der Familie glauben sich die Befragten sogar zu 35,4 % als Prokrastinatoren erkannt, was man aus der Beantwortung der Frage  "Glauben Sie, dass  Ihre Familie Ihre Procrastination erkannt hat?" schließen kann. Die Frage "Glauben Sie, dass Ihr Chef denkt, dass Sie mehr leisten könnten, wenn Sie nur schneller arbeiten würden?" antworten 13,5 % mit "Stimmt vollkommen" , 21 % mit "Stimmt teilweise" und über ein Viertel (27,4 %) mit "Stimmt teilweise". Nur etwas mehr als ein Drittel hält dies eher nicht für wahrscheinlich.

Sehr interessant ist die Tatsache, dass fast die Hälfte der Befragten davon ausgeht, dass andere Menschen nicht soviele Probleme mit der Prokrastination haben wie sie selbst.

Die Beantwortung der Frage "Ich mag lieber eine komplizierte neue Aufgabe als langweilige Routinearbeit." zeigt dass die Prokrastinatoren, zumindest diejenigen, die an der Befragung teilnahmen, einer schwierigen Aufgabe aufgeschlossen gegenüberstehen. 29,3 % gaben an, dass dies vollkommen stimme, ein Viertel gab an, dass es grötenteils stimme und 28 % sagten, dass dies teilweise stimme. In Kombination mit der Frage "Wenn mich etwas nicht interessiert, dann lasse ich es erst einmal liegen." zeigt sich eine der Ursachen für die Prokrastination. Fast die Hälfte (43,2 %) lässt eine Arbeit erst einmal liegen, wenn es sie nicht interessiert. 81 % sind es sogar, wenn man noch diejenigen hinzunimmt, die die Gültigkeit der Aussage mit "Stimmt größtenteils" beantworten, hinzunimmt. Nur 0,2 % sagen, dass dies überhaupt nicht stimme.